Startup Porträt: Deep Care

Wir verbringen durchschnittlich etwa 9 bis 12 Stunden des Tages im Sitzen. Ob beim Essen, zum Fernsehen auf der Couch, auf dem Weg in die Arbeit oder in der Arbeit selbst. Besonders für Personen mit Bürotätigkeiten sind Begleiterscheinungen, wie Kopf- und Rückenschmerzen und Verspannungen nicht unbekannt. Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2022 lagen Muskel-Skelett-Erkrankungen, in Form von Rückenschmerzen, auf Platz 1 der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle in Deutschland. Dass eine ungesunde Sitzhaltung weitaus mehr Einfluss auf die körperliche und mentale Gesundheit hat und wie die digitale Sitzassistenz ISA die Mitarbeitenden im Alltag zu gesunden Arbeitsabläufen motiviert, erklärt Dr. Milad Geravand, Gründer und Geschäftsführer des Start-ups Deep Care, im Interview.

Deep Care startete 2020 als gekürtes „Hightech Startup“ in Waiblingen bei Stuttgart. 2022 sind sie mit ihrem wachsenden Team in die Barockstadt Ludwigsburg umgezogen. Ihrem Motto folgend „Das Leben wertschätzen, indem wir die Gesundheit bewahren“, hat es sich das Start-up zur Aufgabe gemacht, die Künstliche Intelligenz auf sinnstiftende Gesundheitsanwendungen zu übertragen.

Langes Sitzen kann schädliche Auswirkungen auf die körperliche und mentale Gesundheit haben. Durch das Sitzen fährt der Organismus runter, wodurch sich die Stoffwechselaktivitäten verringern. In Folge dessen können Organfunktionen, Herzfunktionen sowie die Aktivität des Immunsystems sinken. Erste Anzeichen dessen sind Müdigkeit und Abgeschlagenheit wodurch die Leistung sowie die Konzentration leiden. Laut Expertinnen und Experten, könne bereits weniger als eine Stunde ununterbrochenes Sitzen zu einer Unterversorgung von Zellen führen. Bei ausgedehnteren Sitzzeiten wie im Büroalltag üblich entstehen bereits Insulinresistenzen welche im schlimmsten Fall über lange Zeit auch zu Typ-2 Diabetes führen können. Das Risiko daran zu erkranken ist laut Studien hierbei sogar um 90% höher.

Regelmäßiges und langes sitzen wirkt sich auch oft auf das psychische Wohlbefinden aus. Forschungen haben ergeben, dass selbst ausgedehnter Freizeitsport die Risiken von langem Sitzen nicht vollständig kompensieren kann.

Lieber Milad, erzählen Sie uns etwas über sich und Ihr Start-up. Wie sind Sie auf Ihre Geschäftsidee gekommen? Was war der Auslöser?

Unser Start-up entstand 2020 aus eigener Betroffenheit. Als ehemalige Mitarbeiter bei BOSCH und Tesla in der Robotik haben wir die negativen Auswirkungen langer und fokussierter Schreibtischarbeiten selbst erlebt. Obwohl unsere Arbeitgeber verschiedene Gesundheitsmaßnahmen anboten, konnten diese unsere Arbeitsroutinen nicht nachhaltig beeinflussen. Aufgrund unserer Erfahrungen und unserem Hintergrund in der Robotik entstand die Idee einer digitalen Assistenz, die uns dabei hilft, trotz des Alltagstrubels gesundes Verhalten umzusetzen.

Was ist ISA und wie funktioniert es?

ISA ist eine künstliche Intelligenz, die Büroangestellten als persönlicher Gesundheitscoach dient. Ihr Ziel ist es, Nutzenden dabei zu helfen, eine gesunde Arbeitsweise zu entwickeln. ISA läuft auf einer speziell entwickelten Hardware, bestehend aus modernster Sensortechnologie und einem Touchdisplay. Die Hardware wird einfach auf dem Schreibtisch platziert, während ISA im Hintergrund Ergonomie und Bewegungsmuster analysiert. Durch den Einsatz von Deep Learning-Algorithmen erkennt ISA ungesunde Verhaltensweisen und gibt über visuelle Hinweise auf dem Display einfach umsetzbare Anleitungen für eine gesündere Arbeitsweise. Diese Hinweise können beispielsweise sein die Sitzhaltung anzupassen, eine bestimmte Bewegungsübungen durchzuführen oder vieles mehr.

Welche Daten erhebt ISA und was passiert mit den Daten?

Die bei ISA verwendete Sensorik erfasst ausschließlich anonyme Tiefendaten der Umgebung, ohne dass eine Kamera verwendet werden muss. Dadurch kann ISA ein präzises Belastungsprofil des Körpers erstellen, indem ein anonymisiertes 3D-Modell des Körpers erzeugt wird. Um sicherzustellen, dass die erhobenen Daten nicht in der Cloud landen, haben wir einen speziellen Deep-Learning-Algorithmus entwickelt, der vollständig offline funktioniert. Dieser Algorithmus wurde im Labor mit über 450.000 Datensätzen trainiert. Das Ergebnis ist ein autonomer Algorithmus, der komplexe Entscheidungsprozesse präzise auf dem Gerät der Benutzer umsetzen kann und daher sogar im Arbeitskontext datenschutzrechtlich unbedenklich ist.

Nutzen Unternehmen bereits den Sitzassistenten ISA?

Ja, wir haben 2021 erste Pilotprojekte in Unternehmen durchgeführt. Bereits da deuteten die Studienergebnisse darauf hin, dass die Nutzung von ISA sich positiv auf Muskel-Skelett-Beschwerden und Sitzverhalten auswirkt. 90 Prozent der Befragten bestätigten den positiven Effekt auf ihre Sitzhaltung und 79 Prozent gaben an täglich Bewegungsübungen durchzuführen. Mittlerweile zählen namenhafte Forschungseinrichtungen wie das Max-Planck-Institut und das Karlsruher Institut für Technologie sowie zählreiche Konzerne wie BOSCH und Mahle zu unseren Kunden. Zudem haben unterschiedlichste Krankenkassen ISA getestet und bieten unsere Lösung nun ebenfalls zur betrieblichen Gesundheitsförderung an.

Was ist Ihre Vision für Ihr Start-up?

Wir haben uns mit Deep Care ein sehr großes Ziel gesetzt. Wir möchten einen signifikanten Beitrag zur Bekämpfung von Volkskrankheiten wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck oder Diabetes leisten. Da rund die Hälfte der Bevölkerung in Industrieländern eine schreibtischgebundene Tätigkeit ausüben und viel Zeit im Sitzen verbringen, sehen wir hier einen vielversprechenden Ansatzpunkt. Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass Menschen trotz ihrer sitzenden Tätigkeit kein höheres Gesundheitsrisiko tragen, sondern dieses im Idealfall sogar verringern können. Mit ISA haben wir eine wirkungsvolle Lösung zur Verhaltensprävention physischer Gesundheitsrisiken entwickelt. Bereits dieses Jahr möchten wir eine neue Lösung vorstellen, welche sich auf die Minimierung von Risiken durch die Arbeitsumgebung fokussiert. Zudem entwickeln wir aktuell Therapieprogramme für Schmerzpatienten und möchten langfristig weitere Faktoren wie Stress am Arbeitsplatz adressieren.

Was benötigt Ihr Start-up, um nun weiter wachsen zu können?

Im Wesentlichen hängt unser Wachstum von drei Faktoren ab: Unserem Produkt, der Skalierbarkeit unseres Vertriebs und vor allem von unserem Team. ISA hat bereits viele positive Reaktionen erhalten und viele der Nutzenden empfehlen sie weiter. Diese Art von Mundpropaganda sowie mediale Präsenz sind entscheidend für unser weiteres Wachstum. Unser derzeitiges Vertriebsnetzwerk ist solide, aber wir müssen es weiter skalieren, um unsere Lösung einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Durch unser engagiertes und interdisziplinäres Team haben wir die besten Voraussetzungen unsere Ziele zu erreichen. Wichtig ist allerdings, das wir mit fortschreitender Expansion weiterhin hochmotivierte und talentierte Persönlichkeiten gewinnen können.

Was sind Ihre Tipps, die Arbeitnehmende ab sofort umsetzen können, um ihre Gesundheit zu bewahren?

Um Ihre Gesundheit am Arbeitsplatz zu bewahren, empfehlen wir grundsätzlich mehr Bewegung und Abwechslung. Unterbrechen Sie das Sitzen so oft wie möglich und integrieren Sie aktive Pausen und ausgleichende Übungen in Ihren Arbeitsalltag. Diese Maßnahmen regen den Kreislauf an, verbessern die Durchblutung und versorgen wichtige Körperregionen mit Nährstoffen. Aktive Pausen müssen nicht lang sein, sollten jedoch regelmäßig eingelegt werden. Streben Sie eine überwiegend aufrechte Haltung an und wechseln Sie häufig die Sitzposition, anstatt in einer starren Haltung zu verharren.