Effizientere Pflanzenzucht durch Computomics

Früh stand für Sebastian Schultheiss fest, dass er sich selbstständig machen würde. „Mir ging es immer darum, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Bioinformatik in der unternehmerischen Praxis anzuwenden“, sagt der Bioinformatiker heute, der von 2007 bis 2011 am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie promoviert hat. In dieser Zeit traf Schultheiss bei einer Veranstaltung von der Technologieförderung Reutlingen-Tübingen, einer Wirtschaftsinitiative zur Förderung des Standortes Reutlingen-Tübingen, auch auf seinen künftigen Partner Tobias Dezulian.

Nachdem zuvor klar geworden war, dass aufgrund eines Durchbruchs in der DNA-Sequenzierung und der wissenschaftlichen Arbeiten von Schultheiss und Dezulian auch Saatguthersteller modernste Bioinformatikanalysen würden verwenden können, entwickelten die beiden daraus ein eigenes Geschäftsmodell. „Im Kern geht es darum, einen Beitrag zur wesentlichen Verkürzung der Entwicklung von neuem Saatgut zu leisten“, beschreibt Schultheiss die Grundidee der beiden Bioinformatiker.

Erstfinanzierung durch Gründerstipendium „Exist“

Zunächst konnten sie ihr Vorhaben über das Gründerstipendium „Exist“ finanzieren, das ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie darstellt und durch den Europäischen Sozialfonds kofinanziert wird. Damit werden Jungunternehmer unterstützt, die ihre Gründungsidee realisieren und in einen Businessplan umsetzen möchten. Bei den Gründungsvorhaben sollte es sich um innovative technologieorientierte oder wissensbasierte Projekte mit signifikanten Alleinstellungsmerkmalen und guten wirtschaftlichen Erfolgsaussichten handeln. Im Fall von Schultheiss und Dezulian waren alle Voraussetzungen erfüllt, so dass sie mit „Exist“ ihren Lebensunterhalt für die ersten zwölf Monate ihrer Selbstständigkeit finanzieren konnten.

Weil die Regeln von „Exist“ vorsehen, dass eine Firmengründung erst nach Genehmigung des Stipendiums erfolgen darf, kam es erst im Anschluss 2012 zur eigentlichen Firmengründung der heutigen Computomics GmbH mit Sitz in Tübingen. Neben Schultheiss und Dezulian schlossen sich mit Detlef Weigel, Daniel Huson, Gunnar Rätsch und Karsten M. Borgwardt vier weitere Gründer an, die alle erfahrene Wissenschaftler sind. Zusammen brachten sie 105.000 Euro Eigenkapital für das neue Projekt auf, wovon zunächst hochwertige Computerhardware im Wert von 40.000 Euro angeschafft wurde.

Optimierung der Saatgutentwicklung durch Bioinformatik

Seitdem konzentriert sich das Jungunternehmen auf Pflanzenzüchtungsfirmen, Saatguthersteller und Bioenergie-Unternehmen, die Expertise benötigen, um die Daten aus dem Genom der Pflanzen interpretieren. „Wir hatten mit der Auswertung von DNA-Sequenzen von Anfang an eine klare Vorstellung davon, was wir auf dem Markt anbieten möchten“, erinnert sich Schultheiss. Erbgut aufschlüsseln, sei heute kein Problem mehr, sagt er. Vielmehr komme es darauf an, die riesigen Datenmengen auszuwerten, richtig zu interpretieren und dann dem Kunden eine Handlungsempfehlung für die Zucht einer neuen Sorte zu geben. Üblicherweise dauert die Einführung einer neuen Pflanzensorte, einschließlich der Zulassung durch das Bundessortenamt, zwischen acht und sechszehn Jahren. Diese Phase kann durch die Auswertungen von Computomics radikal um bis zu sechs Jahren verkürzt werden. Dies geschieht dadurch, dass Computomics durch die Sequenzierung der DNA direkt ins Erbgut einer Pflanze „hineinschaut“, wie es Schultheiss ausdrückt. Dabei werden riesige Datenmengen mit Hochleistungsrechnern ausgewertet und interpretiert, so dass Computomics beispielsweise Saatgutherstellern genau sagen kann, welche Samenkörner sich für die Sortenentwicklung eignen. Es handelt sich also um konventionelle Zucht, so wie ein Züchter nach der Ernte vorgeht, und nicht um Genmanipulation. „Wir können sagen, welche Elternpflanzen am besten zusammenpassen, um die gewünschte Eigenschaft zu erhalten. Wenn man so zielgerichtet vorgehen kann, kürzt dies den ganzen Prozess natürlich stark ab“, erläutert Dezulian. Interessant ist diese Methode vor allem bei Nutzpflanzen, wenn es herauszufinden gilt, welche Pflanzen den höchsten Ertrag bringen, tolerant gegenüber Trockenheit sind oder einen besonders aromatischen Geschmack haben. „Damit tragen wir auch ein kleines Stück dazu bei, die Frage nach der Ernährung der Weltbevölkerung zu beantworten“, so Dezulian.

Nachdem Computomics 2012/2013 seinen ersten Auftrag erfolgreich abgearbeitet hatte, folgten rasch weitere. Unter anderem hat sich das Unternehmen inzwischen einen Namen durch ein besonders schnelles Verfahren gemacht, das das Zusammenwirken von Pflanzen und Mikroorganismen bei der Anreicherung von Stickstoff untersucht. Ebenso gehört die Diagnostik, die den Zusammenhang zwischen genetischem Potenzial und den Eigenschaften einer Pflanze offenlegt, zu den Angeboten des Jungunternehmens, das inzwischen 35 Kunden zählt, darunter bereits namhafte Saatguthersteller ebenso wie Mittelständler aus Baden-Württemberg.

Mehr Aufmerksamkeit durch Gründerwettbewerbe

2014 beteiligte sich Computomics schließlich an CyberOne, dem Businessplan Wettbewerb für Start-ups und innovative Unternehmen in Baden-Württemberg, wo die Tübinger den zweiten Preis gewannen. Ein Jahr später folgte die Teilnahme an der vierten Ausgabe des Venture Capital Pitches von VC-BW, der jungen Unternehmen mit Finanzierungsbedarf Kontakte zu Investoren und ein Feedback zu ihrer Präsentation ermöglichen soll. Insgesamt stellten damals 13 Unternehmen aus der Region ihre Geschäftskonzepte mehr als 60 Investoren aus dem gesamten Bundesgebiet vor.

Durch die Teilnahme an diesen Wettbewerben wurden verschiedene potentielle Geldgeber auf Computomics aufmerksam, von denen einige ernsthaft an einem finanziellen Engagement bei dem Jungunternehmen interessiert waren. Am Ende entschieden sich die Gesellschafter für den High-Tech Gründerfonds (HTGF), der nach ihrer Auffassung die transparentesten Bedingungen aufwies. Außerdem erschienen Computomics einige der 18 Wirtschaftsunternehmen wie Bayer, BASF oder Qiagen interessant, die neben Bund und KfW den Fonds zu 13 Prozent mitfinanzieren. So steckte der HTGF, der üblicherweise Risikokapital in Frühphasen-Technologie-Unternehmen investiert, im September 2015 eine halbe Million Euro in Form eines nachrangigen Wandeldarlehens in das Tübinger Start-up.

Gleichzeitig ließ sich auch der Seedfonds Baden-Württemberg von den Qualitäten des Jungunternehmens überzeugen und investierte 100.000 Euro. Neben dem Land Baden-Württemberg (Ministerium für Finanzen und Wirtschaft) stellen die L-Bank, die LBBW Venture Capital GmbH und die MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg GmbH die Investoren des Seedfonds BW. Weitere 500.000 Euro kamen im Februar 2016 in Form einer stillen Beteiligung von der S-Capital Beteiligungsgesellschaft der Kreissparkasse Tübingen. Insgesamt halten die sechs Gründer noch 82 Prozent der Gesellschaftsanteile.

Niederlassung in den USA eröffnet

Rückblickend beurteilt Schultheiss die Zusammenarbeit mit Harald Fuchs, ehemaliger Vorstand der LBBW Venture Capital, der heute als freier Berater arbeitet, bei der Auswahl der Investoren als hilfreich. Auch die Etablierung eines wirtschaftlichen Beirats, der aus Ralf Allrutz und Reinhard Hamburger besteht, habe sich bewährt.

Mit dem aktuellen Finanzierungsrahmen sieht Schultheiss Computomics bis mindestens Ende 2017 gut aufgestellt. Nachdem man bereits seit 2014 profitabel arbeitet, wagte das Unternehmen, das derzeit elf Mitarbeiter zählt, 2016 mit der Eröffnung einer eigenen Niederlassung den Schritt in die USA. Dort sitzt die Kernzielgruppe von Computomics, die sich mit Pflanzenzucht und -schutz beschäftigt, ebenso wie in Südamerika und Westeuropa. So soll der Sprung über den Großen Teich dazu beitragen, den Umsatz im kommenden Jahr markant um rund 80 Prozent zu steigern. Ziel ist es, in zwei bis vier Jahren zu Europas größtem, unabhängigen Analysedienstleister in der Bioinformatik heranzureifen, der auf dem technisch neuesten Stand arbeitet und dann 20 bis 30 Mitarbeiter beschäftigt.

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